Hafenpost
Cuxhavens Wächter der Hafeneinfahrt
Besonders die Kommunikationskompetenz von Jürgen Höpcke war beim Erfolgsprojekt „SmartKai“, einer Einparkhilfe für Schiffe, gefragt. Was hat er erlebt und wie geht es mit dem Projekt jetzt weiter?
Ob es wohl möglich ist, in Cuxhaven zu leben und Jürgen Höpcke nicht zu kennen …? Das erscheint schwer vorstellbar. Schließlich ist der gebürtige Cuxhavener hier fest verwurzelt: So hat er das Amt des Vorsitzenden des Fördervereins Freibad Oxstedt inne, begibt sich mit Freunden, die er teils schon aus Kindertagen kennt, regelmäßig auf Rad- oder Motorradtouren – und weiß natürlich, wo man das leckerste Fischbrötchen bei schöner Aussicht genießen kann. Auch für Musik und Musikfestivals begeistert sich der 52-Jährige, sein Herz schlägt insbesondere für Rock-, Bluesrock und Metal.
Gemeinsam mit seinem Mitstreiter Jürgen Kinski, dem 2. Vorsitzenden des Fördervereins Freibad Oxstedt, hat sich Jürgen Höpcke tatkräftig ins Zeug gelegt, damit der Freibadsaison-Eröffnung Anfang Juni nichts im Wege steht. (Bild: Höpcke/NPorts)
Seit fast 28 Jahren ist Jürgen mit seiner Frau Anett verheiratet, von den drei Kindern leben der 27-jährige Sohn und die 14-jährige Tochter ebenfalls in Cuxhaven; nur die 24-jährige Tochter hat es inzwischen nach Bremen gezogen, „weil sie dort kein Auto braucht“, wie Jürgen erklärt.
Vom Ausbilder zum Projektmanager
Seit 13 Jahren bereichert der Elektrotechnikermeister schon das NPorts-Team. Bevor er hier 2011 als Ausbilder für Elektro- und Metallhandwerk anfing, war er Leiter eines Elektrobetriebs. Jener Betrieb sei zwar sehr familiär gewesen – doch eine Familie hatte Jürgen schließlich schon, und 60- oder gar 70-stündige Arbeitswochen vertrugen sich mit einem Familienleben spätestens mit der Geburt seiner jüngsten Tochter nicht sonderlich gut. Dass er nach seinem beruflichen Wechsel zur Hafengesellschaft plötzlich während der gesamten Sommerferienzeit Urlaub machen konnte aufgrund im Winter geleisteter Überstunden, sei wie Luxus gewesen, erinnert sich der Cuxhavener. Bis zu jenem Zeitpunkt war er es gewohnt, maximal eine Woche am Stück Urlaub nehmen zu können.
Rund anderthalb Jahre später folgte erneut ein Wechsel für Jürgen: Schließlich hatte NPorts den Geschäftsbereich Technischer Service und Technik gesplittet und suchte eine Leitung für die neue Abteilung Technischer Service. Dieses Amt bekleidete der Elektrotechnikermeister bis zum Herbst 2019, ehe seine Fähigkeiten für eine ganz spezielle Aufgabe benötigt wurden: das Projektmanagement, zu welchem auch das Projekt SmartKai gehörte.
SmartKai
Bei SmartKai handelt es sich, einfach ausgedrückt, um eine Einparkhilfe für Schiffe. Dabei messen am Hafen installierte Sensoren den genauen Abstand des Schiffes zur Kaje und liefern die Ergebnisse in Echtzeit aufs Tablet oder Smartphone an Lotsen und das nautische Personal auf einer Schiffsbrücke.
„Dass insbesondere im Hafen Cuxhaven das Manövrieren von Schiffen schnell mal brenzlig werden kann, wird zum Beispiel deutlich, wenn man sich die verschiedenen Strömungen in der Einfahrt zum Amerika-Hafen ansieht“, erklärt Jürgen beim Vor-Ort-Termin. Doch auch Umgebungsverkehr, Gezeiten und Windböen müssen beim An- und Ablegen richtig eingeschätzt werden. Fehleinschätzungen können schließlich Schäden an Schiffen und Hafeninfrastruktur nach sich ziehen, diese bedeuten bestenfalls Sachschäden, können aber auch zu Personenschäden oder Umweltverschmutzung führen oder die Hafeninfrastruktur für längere Zeit blockieren.
Die Einfahrt zum Amerika-Hafen. (Video: Ziegeler/NPorts)
Im Hafen Cuxhaven wurden zwischen 2010 und 2019 37 Havarien erfasst. Die Schadenssummen waren dabei sehr unterschiedlich und beliefen sich auf Schäden von wenigen Tausend Euro bis hin zu Schäden im sechsstelligen Bereich. Unter anderem auf Grundlage der Auswertung der Schadenshotspots wurden der Europakai, die Schleusenzufahrt und die Hafeneinfahrt Amerika-Hafen als geeignete und realisierbare Standorte für die SmartKai-Sensoren identifiziert.
Jürgen, das Projekt SmartKai ist seit dem 31. Mai 2023 abgeschlossen. Hast Du ein konkretes Beispiel, wie das Assistenzsystem eine gefährliche Situation entschärfen kann?
Jürgen: Als wir für die Veranstaltung zum Projektabschluss am Europakai gerade beim Aufbau waren, versuchte eine RoRo-Fähre, bei sehr starkem Wind anzulegen. Bei normalen Witterungsbedingungen hätte der Anlegevorgang nur zehn Minuten gedauert – so waren es zweieinhalb Stunden. Weil wir so starken ablandigen Wind hatten, gelang es dem Schiff einfach nicht, an die Kaianlage ranzukommen. Am nächsten Tag kam der Kapitän, der im Internet von SmartKai gelesen hatte, zu uns runter. Wir haben ihm die von unseren Sensoren aufgezeichneten Messdaten zur Verfügung gestellt und sind dann mit ihm auf die Schiffsbrücke gegangen, um uns die Aufzeichnungen von dem anzusehen, was er bei dem Manöver gesehen hat. Der Kapitän kam zu dem Schluss: Hätte er die Infos gehabt, die wir ihm gezeigt hatten, wäre er schneller gewesen und hätte präziser und mit weniger Gefährdung anlegen können.
Die bunten Markierungen auf dem Boden am Europakai zeigen verschiedenen Schiffen ihre jeweils richtige Anlegeposition an. All diese Infos lassen sich in SmartKai integrieren. (Bild: Ziegeler/NPorts)
Was war für Dich persönlich das Beste am Projekt?
Jürgen: Die Kommunikation und Koordination waren meine Hauptaufgaben in dem Projekt. Für mich war das Beste die Zusammenarbeit mit so vielen verschiedenen Beteiligten aus dem maritimen Umfeld: vom Bauingenieur über Menschen aus der Nautik, Schiffsführer und Lotsen bis zu Mitarbeitenden aus der Entwicklungsabteilung von Sensor-Herstellern sowie aus der Software-Schmiede, die die Visualisierung der Darstellung auf dem Tablet/Smartphone macht. Das war spannend.
Bei der gelungenen Kommunikation mit so unterschiedlichen Menschen ist sicherlich einiges an Einfühlungsvermögen erforderlich, bzw. ist es sicher von großer Bedeutung zu verstehen, wie die jeweiligen Gruppen ticken …
Jürgen: Ja, die Technik muss ja von den Nutzerinnen und Nutzern akzeptiert werden, und wir brauchen ihr Feedback, um die Technik weiter zu verbessern. Die Lotsen haben uns beispielsweise berichtet, sie würden das Tablet zwar nehmen und sich anschauen; sie würden die Technik allerdings erstmal nur begleitend nutzen. Wenn sie dann zehn, 100 oder 1000 Manöver gefahren und die gelieferten Daten verlässlich gewesen seien, dann würden sie erst anfangen, auf Basis der Darstellung zu fahren. Vorher würden sie sagen: „Das glauben wir erst mal nicht.“
Besteht denn die Gefahr, dass SmartKai falsche Daten anzeigt?
Jürgen: Nein. Unser Ansatz ist: „Lieber gar keine Daten liefern als falsche.“ Falls ein Sensor mal ausfällt, dann gibt es auch keine Daten. Es wird nicht versucht, irgendwas hinzumogeln. Sonst würde sich im Fall der Fälle ja auch die rechtliche Frage stellen: Wer ist schuld an der Havarie? Was aufs Handy oder Tablet geliefert wird, ist auf jeden Fall richtig.
Wie beurteilst Du das Projekt rückblickend?
Jürgen: SmartKai war ein voller Erfolg! Alle, die aus der Navigation kommen, wissen: Ein Schiff, das anlegt, wird langsamer. Doch je langsamer ein Schiff wird, desto weniger AIS-Signale bekommt es [AIS steht für automatisches Identifikationssystem und ist ein Funksystem, das Schiffsdaten zwischen damit ausgerüsteten Schiffen sowie zwischen ausgerüsteten Schiffen und Landstationen austauscht; Anmerkung der Redaktion]. Also da, wo man gerade sehr viele Signale bräuchte, bekommt man nur sehr wenige. Hinzu kommt, dass die Eigenmessungen der AIS-Signale an Bord nicht immer korrekt sind, sodass ein falsches Lagebild dargestellt wird. Es war keine Seltenheit, dass wir hier Abweichungen von ein paar Metern gesehen haben. Mit SmartKai konnten wir dagegen sehr genaue Konturen abbilden – auch bei sehr schlechter Sicht wie starkem Nebel! Damit können also auch jene, die sonst beim Fahren auf Sicht angewiesen sind, ein Manöver weiterfahren. Das Zeitfenster und die Möglichkeiten, die sie zum Anlegen haben, werden vergrößert – und auch sicherer.
Im Frühjahr 2024 wurde einer der Fender in der Einfahrt zum Amerika-Hafen massiv beschädigt. Der Verursacher kümmerte sich nicht um den Schaden, der im sechsstelligen Bereich liegen wird. Die SmartKai-Sensoren waren zu jenem Zeitpunkt nicht mehr aktiv, sodass dem wahrscheinlichen Verursacher die Schuld nicht rechtssicher nachgewiesen werden kann. (Bild: Ziegeler/NPorts)
Können diese neuen Infos auf dem Tablet oder dem Smartphone nicht auch irritierend sein für Schiffsführende, wenn sie das Fahren auf Sicht gewöhnt sind?
Jürgen: Ich würde sagen: ja. „Weniger ist mehr“, lautet daher die Devise, was die Visualisierungen angeht. Solange alles in Ordnung ist, brauchen wir kein Warnsignal oder Ähnliches. Bei einer „Achtung“-Situation, wenn zum Beispiel die Annäherungsgeschwindigkeit zu hoch ist, wechselt die Anzeige dann in einen gelben Modus. Über die Größe von Pfeilen, also mit einfachen Symbolen, wird angezeigt, wie groß die Gefahr ist. Text ist dagegen ein No-Go. Die Nutzenden können zudem an- und abwählen, welche Funktionen sie sehen möchten. Das führt letztlich zu einer hohen Akzeptanz.
Wie geht es jetzt weiter? Werden aktuell noch Daten gemessen?
Jürgen: Der Antrag auf ein Folgeprojekt ist gestellt; es würde mich sehr freuen, wenn das funktioniert. Bis das entschieden ist, dürfen wir weiterarbeiten, um Daten zu sammeln. Das beschränkt sich aber auf den Europakai. Die Daten liegen unserem Projektpartner DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt) vor. Sie ziehen sich Infos für die Weiterentwicklung der Sensorik und der Software raus. Wenn sich ein Schiff der Kaianlage nähert, sehen sie, ob es mit hoher Wahrscheinlichkeit ein sauberes Anlegemanöver wird oder eine Havarie. So wird ein Algorithmus programmiert, der den Schiffsführenden sagt: Jetzt kannst du noch eine Kurskorrektur vornehmen oder an der Kaianlage vorbeifahren. Das kann man sowohl für Schiffstypen machen als auch für einzelne Schiffe. Je mehr Daten man hat, desto genauer kann man es sehen.
So sahen die ersten Sensoren aus, die zu Projektbeginn am Europakai montiert wurden. | Im Januar 2024 wurden einige der alten durch weiterentwickelte Sensoren ersetzt. (Bilder: Ziegeler/NPorts) |
Falls es ein Folgeprojekt gibt: Welche sind die nächsten Schritte?
Jürgen: 1. Wir haben aktuell einen relativ provisorischen Aufbau. Im Folgeprojekt wird es um einen Aufbau gehen, der technisch voll in der Kaianlage integriert ist und eine gute Möglichkeit gibt, Bestandsanlagen nachzurüsten.
2. Die Sensoren sollen so weiterentwickelt werden, dass sie mit den Umweltbedingungen gut klarkommen, zum Beispiel mit starker Sonneneinstrahlung oder starken Temperaturschwankungen. Da schauen wir uns dann auch bei anderen Herstellern um. Im Moment nutzen wir Sensoren von der Firma Sick, zum Beispiel aus der Automobilindustrie für autonomes Fahren. In einem Auto ist der Verbau aber ein ganz anderer als an einer Kaianlage.
3. Der Wartungsaufwand soll so gering wie möglich gehalten werden. Der Einbau der Sensoren muss so gut sein, dass sie ein freies Sichtfeld haben, aber trotzdem so viel Schutz haben, dass Umwelteinflüsse wie Gischt nicht zu einer starken Verschmutzung führen; das würde sonst einen hohen Reinigungsaufwand bedeuten.
4. Die Datenübertragung muss so simpel wie möglich gehalten werden. Allerdings mit einer so hohen Datenmenge, wie sie eben notwendig ist. Und das über einen einfachen Standard, der immer gewährleistet werden kann.
Und wenn das Folgeprojekt auch wieder ein Erfolg wird …?
Jürgen: Der Bedarf für ein solches Assistenzsystem ist auf jeden Fall vorhanden, denn brenzlige Situationen in Häfen werden bleiben. Die Warenströme werden steigen, die Frequentierung der Häfen wird größer werden. Wir müssen in kürzerer Zeit mehr Schiffe abfertigen. Wichtig ist dann, dass man ein vernünftiges Lagebild liefern kann.
Neben Seehäfen könnte das System auch auf Binnenwasserstraßen und für Brückendurchfahrten eingesetzt werden. Bei der Havarie eines Schiffs mit der Eisenbahnbrücke im Februar in Elsfleth hätte man zum Beispiel eingreifen können. Bei technischem Versagen ist man machtlos, aber bei menschlichem Versagen hätte man mit dem System eine Kurskorrektur oder einen Fahrtstopp erreichen können. Technisches Versagen hätten wir nachweisen können. Oft wird in der Schifffahrt gesagt: „Das war ein Ruderausfall, das war höhere Gewalt.“ Das wurde während der SmartKai-Projektphase in einem Fall auch gesagt. Wir konnten aber gezielte Bewegungen nachweisen anhand der Aufzeichnungen und sagen: „Nee, das war ein Manövrierfehler!“ Ergo: Man ist dafür haftbar.
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